Eine Lanze brechen für das Stativ, Teil 2

 

2. Bildbeispiele bei denen das Stativ sehr nützlich war

Hier der zweite Teil meines kleinen Stativ-Exkurses. Nachdem der erste, grundsätzliche Teil doch eher textlastig war, folgen nun endlich konkrete Bildbeispiele. Zu jedem Foto werden Blende, Verschlusszeit sowie verwendete Filter angegeben. In diesem zweiten Teil werden Bilder gezeigt, die zwar auch ohne Stativ möglich gewesen wären, aber mit mehr Stress bei der Aufnahme oder Kompromissen bei Qualität und/oder Bildgestaltung.

Tiefenschärfe

In jedem klassischen Fotolehrbuch wird einem empfohlen, seine Bilder mit Vorder-, Mittel- und Hintergrund zu gestalten, um eine plastische, dreidimensionale Bildwirkung zu erreichen. Ohne diese Regel jetzt bewerten zu wollen, ergeben sich daraus auch wieder grundsätzlich zwei Möglichkeiten, wie man dies umsetzen kann: A) Ich stelle auf das mir wichtige Objekt scharf und lasse den Rest bewusst in Unschärfe verschwimmen oder B) ich will alles scharf von vorne bis hinten. Im zweiten Fall kann das zu Verschlusszeiten führen, die bereits nicht mehr “freihand-geeignet” sind – v.a. wenn man noch einen Polfilter einsetzt, der ja gut und gerne nochmals zwei Blendenstufen Licht schluckt. Auch in der Architekturfotografie ziehen sich die Motive häufig über die ganze Bildtiefe.

Gewölbe, 90mm, Blende 16, Verschluss ⅙ Sek.
Gewölbe, 90mm, Blende 16, Verschluss ⅙ Sek.
Treppenhaus, 90mm, Blende 16, Verschluss 4 Sek.
Treppenhaus, 90mm, Blende 16, Verschluss 4 Sek.

 

Grauverlaufsfilter

In der Landschaftsfotografie hat man ja öfter das Problem, dass der Helligkeitsunterschied zwischen der relativ dunklen Landschaft und dem hellen Himmel zu gross für den Sensor ist. Selbst bei modernen Systemen mit einem Kontrastumfang von 14 Blendenstufen passiert das häufiger als einem lieb ist. Sofern wenigstens noch ein bisschen Zeichnung im hellen Himmel vorhanden ist, kann man bei der Bildbearbeitung noch etwas korrigieren, aber wenn Bildteile komplett weiss/ausgefressen sind, schlägt das fehl. Wo nichts ist, kann auch nichts mehr korrigiert werden. Hier kommt der Grauverlaufsfilter ins Spiel. Er dunkelt den Himmel (oder generell die helleren Bildteile) bereits bei der Aufnahme ab und senkt so den Kontrastumfang. Da der Filter vor dem Objektiv sehr sorgfältig ausgerichtet werden muss, ist die Benutzung eines Statives eine wesentliche Hilfe. Hier seht Ihr drei Varianten derselben Szenerie: Zweimal ohne und einmal mit Grauverlaufsfilter. Bei der ersten Variante hat der Himmel zwar noch minimal Zeichnung, aber die schneebedeckten Gipfel sind bereits ausgefressen. Im zweiten Bild ist zwar die obere Bildhälfte korrekt belichtet, dafür der Vordergrund viel zu dunkel. Erst der Einsatz eines Grauverlaufsfilters drückt den Kontrastumfang auf ein darstellbares Mass herunter. Ohne Stativ müsste man die Kamera einhändig halten, mit der anderen Hand den Filter vor das Objektiv platzieren und dann 1/6 Sekunde verwacklungsfrei halten…

Hasliberg, 35mm, Blende 11, Verschluss ⅙ Sek, ohne Grauverlaufsfilter, auf Vordergrund belichtet
Hasliberg, 35mm, Blende 11, Verschluss ⅙ Sek, ohne Grauverlaufsfilter, auf Vordergrund belichtet
Hasliberg, 35mm, Blende 11, Verschluss ⅙ Sek, ohne Grauverlaufsfilter, auf Himmel belichtet
Hasliberg, 35mm, Blende 11, Verschluss ⅙ Sek, ohne Grauverlaufsfilter, auf Himmel belichtet
Hasliberg, 35mm, Blende 11, Verschluss ⅙ Sek, mit Grauverlaufsfilter
Hasliberg, 35mm, Blende 11, Verschluss ⅙ Sek, mit Grauverlaufsfilter

 

Ausrichtung aller drei Achsen

In der Architekturfotografie ist es manchmal wünschenswert, dass alle drei Achsen genau ausgerichtet sind, damit rechte Winkel auch tatsächlich rechtwinklig abgebildet werden. Horizontal ausrichten? Kein Problem, moderne Kameras haben ja eine digitale Wasserwaage eingebaut, die einem das anzeigt. Vertikal ausrichten? Auch kein Problem, gerade in der Architektur hat es normalerweise ja genügend vertikale Linien, an denen man sich orientieren kann. Horizontal und vertikal miteinander ausrichten? Schon ein bisschen schwieriger. Konzentriert man sich auf die horizontale Achse, verrutscht man in der Vertikalen und umgekehrt. Aber damit nicht genug, denn es kommt noch eine dritte Achse dazu, nämlich die parallele Ausrichtung der Sensor- und Objektebene. Diese drei Achsen während der Freihandaufnahme alle perfekt in der Waage zu halten gleicht eher einem Glücksspiel als kontrollierter Fotografie. Mit dem Stativ dagegen ist es ein Kinderspiel, v.a. wenn  man einen Getriebeneiger als Stativ-Kopf hat, mit dem man jede Achse einzeln und unabhängig von den anderen verstellen kann. Gerade bei so vielen Senkrechten und Waagerechten wie im ersten Bild fallen selbst minimalste Abweichungen sofort störend auf. Das zweite Beispiel ist zwar eine Nachtaufnahme, die Belichtung erfolgt jedoch auf die hell erleuchteten Büros; eine Freibandaufnahme wäre also belichtungstechnisch mit offener Blende und High-ISO durchaus möglich gewesen, aber eben…

ETH Hönggerberg, 90mm, Blende 13, Verschluss ⅕ Sek
ETH Hönggerberg, 90mm, Blende 13, Verschluss ⅕ Sek
Bürofenster, 55mm, Blende 8, Verschluss ⅕ Sek
Bürofenster, 55mm, Blende 8, Verschluss ⅕ Sek

Der richtige Zeitpunkt

Manchmal hat man eine schöne Szene oder ein fotogenes Objekt entdeckt, dass man fotografieren möchte, aber irgendwie fehlt etwas, es ist noch nicht ganz perfekt. Entweder möchte man keine Personen auf dem Bild, manchmal auch genau das Gegenteil: Man wartet, bis jemand durch’s Bild läuft. Und dann bitte genau in dem Moment auslösen, wo die Person von der Bildwirkung her am besten platziert ist. Oder man wartet, bis die Sonne durch ein Loch in der Wolkendecke scheint. Oder man muss eine Lücke im fliessenden Verkehr abwarten, weil sonst die Fahrzeuge das zu fofografierende Objekt verdecken etc. In solchen Situationen gibt es drei Möglichkeiten: A) Man steht verkrampft mit der Kamera am Auge und hofft, dass man den richtigen Moment auch rechtzeitig erkennt. B) Man hält die Kamera locker in der Hand, beobachtet die Szene und wenn der Moment gekommen ist, reisst man den Fotoapparat blitzschnell ans Auge und drückt ab – in der Hoffnung, dass Bildausschnitt, Schärfe, Belichtung etc. stimmen. C) Man setzt die Kamera auf’s Stativ, stellt Bildauschnitt, Belichtung, Schärfe etc. im voraus ein, setzt sich mit der  Fernbedienung in der Hand auf die Parkbank neben dem Stativ und drückt völlig stressfrei im richtigen Moment auf’s Knöpfchen. Nun ratet mal, welche Variante ich bevorzuge… 🙂

Beim ersten Bild “Winterspaziergang” hatte ich die Bildidee schon im Kopf und musste nur warten, bis eine passende Gruppe Spaziergänger über die Lichtung marschierte.

Winterspaziergang, 150mm, Blende 5.6, Verschluss 1/30 Sek.
Winterspaziergang, 150mm, Blende 5.6, Verschluss 1/30 Sek.

Auch bei folgendem Bild hatte ich die grundsätzliche Bildidee schon im Kopf, wollte aber warten, bis der Mann irgendeine interessante Pose einnahm. Der fragende Blick zur Statue hoch dauerte nur eine Sekunde. Sehr schwierig ohne Stativ, in dieser kurzen Zeit Motiv erkennen, Bildausschnitt bestimmen, waagerecht ausrichten, Fokuspunkt anwählen und auslösen.

Sechseläutenplatz, 90mm, Blende 2.8, Verschluss 1/1000 Sek.
Sechseläutenplatz, 90mm, Blende 2.8, Verschluss 1/1000 Sek.

Ähnlich beim Bild der Schiffsanlegestelle in Cully am Genfersee. Ich wollte die Schweizerflagge unbedingt im Wind wehend zeigen; das Problem war nur, es war fast windstill. Nur alle paar Minuten blähte sich die Flagge für eine oder zwei Sekunden in einem Windstoss. Hier gilt dasselbe wie beim obigen Bild vom Sechseläutenplatz: Mit Stativ kann ich alles perfekt voreinstellen, in aller Ruhe und mit freiem Blick die ganze Szene betrachten und brauche im entscheidenden Moment nur noch auf den Knopf der Fernbedienung zu drücken.

Cully, 90mm, Blende 5.6, Verschluss ⅛ Sek.
Cully, 90mm, Blende 5.6, Verschluss ⅛ Sek.

 

Im nächsten, dritten Teil meiner kleinen Stativ-Serie werde ich Euch Bilder zeigen, die ohne Stativ gar nicht möglich gewesen wären. Bei Nachtaufnahmen leuchtet es jedem ein, dass ohne ein Stativ nicht viel geht; aber lasst Euch überraschen, welche Bilder durch ein Stativ (und nur dadurch) auch am hellen Tag möglich werden.

 

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