Mit dem ND-Filter im Wald

Letztes Wochenende war ich wieder einmal auf dem Uetliberg, unserem Hausberg in Zürich. Ich war allerdings ein bisschen unsicher, was mich wetter- und landschaftstechnisch dort oben erwarten würde. Sowohl der Wetterbericht wie auch die Live-Webcam liessen mich nicht gerade vor Freude in die Höhe springen: Morgens und nachmittags leichter Regen möglich bei ganztägig geschlossener Hochnebeldecke. Farblich gesehen war der “Indian-Summer” vorbei und es dominierten die Rost- und Ockertöne. Mit anderen Worten: Ein typischer Spätherbst-Tag in der Nordschweiz 🙂

Oben angekommen, war mir nach ein paar Minuten klar, dass heute ein guter Tag werden würde. Das feuchte Wetter brachte den ansonsten eher gedeckten Rost-Ton der Blätter richtig zum Leuchten, die geschlossene Hochnebeldecke sorgte für weiches, kontrastarmes Licht. Das einzige Problem war der komplett strukturlose, weisse Himmel, wie er für eine solche Wettersituation typisch ist.

Der erste Lösungsansatz, der einem dazu einfällt, ist natürlich ein Verlaufsfilter, der den Himmel abdunkelt. Das bedingt allerdings einen relativ geraden Horizont; bei Himmel, der zwischen kahlen Ästen durchscheint, klappt diese Methode nicht. Ich musste mir neulich in einem Online-Forum sogar sagen lassen, dass der Gebrauch von Verlaufsfiltern in der digitalen Fotografie sowas von gestern sei; der moderne Digitalfotograf erledige das mit HDR, Punkt! Ja, auch das wäre eine mögliche Problemlösung, aber ich bin tatsächlich etwas Old-School in dieser Hinsicht: Was ich schon bei der Aufnahme erledigen kann, verschiebe ich nicht in die Nachbearbeitung, ebenfalls Punkt! 🙂

Nun, eine weitere Variante ist der Einsatz eines Neutraldichtefilters (ND-Filter). Das tönt erstmal nicht sehr logisch, denn schlussendlich kommt trotz der verlängerten Belichtungszeit rechnerisch gleichviel Licht auf dem Sensor an wie mit einer herkömmlichen, kurzen Belichtung.

Der Neutraldichtefilter

Beispiel: Wenn ich mit Blende 8 und 1/125 Sek ein korrekt belichtetes Bild erhalte, ergibt das einen Lichtwert (LW) von 13. Montiere ich nun einen 10-fach ND-Filter, ergibt das nur noch einen LW 3 (1 LW = 1 Blendenstufe). Um wieder auf einen LW 13 zu kommen, muss ich entweder die Blende um 10 Stufen öffnen oder die Belichtung um soviele Stufen verlängern, bzw. tausendmal länger belichten. Anstatt 1/125 Sek sind es dann 1000/125 Sek = 8 Sekunden. Früher, in der analogen Zeit, musst man noch den Schwarzschild-Effekt berücksichtigen; da dies eine chemische Reaktion der Filmemulsionen war, ist das in der digitalen Fotografie zum Glück kein Thema mehr.

Meine Erfahrung ist aber, dass die beiden Bilder im obigen Beispiel am Schluss eben doch nicht identisch aussehen. Bei langen Belichtungszeiten von mehreren Sekunden bis Minuten intensivieren sich die Farben und sogar ein gleichmässig weisser Himmel überstrahlt nicht mehr, manchmal tauchen sogar plötzlich feine Strukturen auf, die von Auge nicht sichtbar waren. Warum das so ist, weiss ich nicht. Ich vermute, es könnte an der Bewegung der Blätter, Wolken, Wellen etc. während der Belichtung liegen, dass sich die ansonsten überstrahlenden Stellen ausgleichen. Vielleicht ist es auch ein anderer physikalisch/optischer Effekt, vielleicht bloss ein kleiner Farbstich in meinem Filter, keine Ahnung…

Durch die Langzeitbelichtungen und die sich im Wind wiegenden Blätter entstand eine etwas surreale Wirkung, die ich aber noch verstärken wollte. Dazu habe ich nach zwei Dritteln der Belichtungszeit den Schärfering des Objektivs verstellt. Da muss man ein bisschen probieren, je nach Motiv und gewünschter Bildwirkung kann das auch früher oder später sein bzw. die Verstellung subtiler oder krasser. Dadurch entsteht eine Art Ueberlagerung des scharfen Bildes durch diffuse Schatten und Lichter. Das Ergebnis wirkt wie aus einem surrealen Traum.

Alle folgenden Bilder sind mit der Hasselblad X1D und dem Objektiv XCD 3.2/90mm entstanden, Belichtungszeiten zwischen 30 und 120 Sekunden.

Hier sind die beiden erwähnten Effekte sehr schön zu erkennen. Einerseits die überlagernden “Geisterkonturen” beim Baum, andererseits die hellen Spots im Himmel, die aber nicht ausfressen oder überstrahlen.
Zu den Fantasiefiguren des Bruno Weber passt die leicht surreale Bildwirkung perfekt. Dadurch, dass der Himmel nicht komplett ausfrisst, lässt er sich in der Nachbearbeitung auch noch weiter abdunkeln und intensivieren.
Hier ist die leichte Unschärfeüberlagerung durch die Verstellung des Fokus kaum zu erkennen. Das Bild lebt eher von den satten Farben und dunklen Baumstämmen.
Hier wiederum sieht man deutlich einerseits die Unschärfe durch die sich im Wind bewegenden Blätter und anderseits die Ueberstrahlungen und “Geisterschatten” der Fokusverstellung.
Dito wie oben, wobei der zweite Effekt hier noch stärker zur Geltung kommt.
Normalerweise würde ich so einen hellen, nichtssagenden Himmel als Hintergrund meiden. In diesem Fall jedoch passt es recht gut; ein blauer Himmel z.B. würde die herbstlichen Farben zu sehr konkurrieren.
Ich mag diesen leicht surrealen, gemäldeartigen Look einfach… 🙂


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