Die Bilder sind aber sicher bearbeitet, oder…?

Diese Frage höre ich hin und wieder, wenn ich Freunden, Bekannten, potentiellen Kunden etc. Landschafts- oder Architekturbilder mit tollen Lichtstimmungen zeige. Im Prinzip eine einfach Frage, schnell beantwortet: „Ja, natürlich sind die Bilder bearbeitet“. Wer wie ich im RAW-Format fotografiert, möchte ja eben gerade jedem Bild die optimale Entwicklung/Bearbeitung angedeihen lassen. Warum ich trotzdem meistens mit der Antwort zögere, ist die Vermutung, dass die Intention der Frage in eine andere Richtung zielt. Die Fragesteller meinen mit „bearbeitet“ nicht einfach „im RAW-Konverter entwickelt“, sondern eher „manipuliert“, d.h. nicht mehr der Realität entsprechend und damit indirekt auch „unecht/gefälscht“. Und das wiederum kratzt natürlich an meiner Fotografen-Ehre… 🙂

Aus diesem Grund habe ich versucht, mir eine kurze und knappe Standardantwort auszudenken, auf die ich in solchen Situationen zurückgreifen kann und habe dabei gemerkt, wie komplex das Thema eigentlich ist. Ich werde im Folgenden versuchen, die Thematik in einzelne Aspekte/Kapitel aufzuteilen, in dem Bewusstsein, dass zwischen diesen teilweise auch eine Wechselwirkung besteht.

Vorbemerkung

In diesem Beitrag geht es explizit nicht um Presse- oder Reportagefotografie. Dort gelten aus naheliegenden Gründen und zu Recht strenge Regeln, was erlaubt ist und was nicht.

Was heisst überhaupt „bearbeitet“?

Die Diskussion, bzw. die Missverständnisse beginnen schon mit der Definition des Begriffes „bearbeitet“. Bei Nicht-Fotografen hat dieses Wort im Zusammenhang mit Bildern häufig einen etwas zweideutigen Klang. Wie oben bereits erwähnt, wird damit teilweise eine Manipulation oder Abweichung von der Realität impliziert. Für Fotografen hingegen hat das Wort eine neutrale Bedeutung im eigentlichen Wortsinn; genauso wie ein Word-Dokument oder eine Excel-Tabelle bearbeitet werden muss, benötigt ein digitales Foto auf dem Weg zum finalen Produkt eben eine gewisse Bearbeitung.

Natürlich ist es eine eindeutige Manipulation und Fälschung, wenn z.B. in einem Reiseprospekt ein paar hässliche Industriebauten neben dem Badestrand einfach per Bildbearbeitung wegradiert werden. Aber wie ist es zu gewichten, wenn der Landschaftsfotograf ein paar bei der Aufnahme übersehene Zigarettenkippen wegretuschiert? Oder der Portraitfotograf dem Modell auf dem Bild einen Pickel wegmacht?

Ich werde im folgenden den Begriff „Bearbeitung“ wertneutral für sämtliche Anpassungen an einem digitalen Bild verwenden, egal ob es „nur“ eine RAW-Entwicklung ist oder eine Perspektivekorrektur oder ein Wegstempeln von Abfall oder das Erhöhen der Farbsättigung oder oder oder…

Wie funktioniert eine Digitalkamera?

Nur eine ganz kurze, rudimentäre Erklärung, die aber für die folgenden Kapitel als Grundlage dient. Der Sensor einer Digitalkamera kann eigentlich gar nichts sehen. Er kann nur verschiedene Helligkeitswerte pro Pixel registrieren. Und die Farben entstehen durch verschiedene Farbfilter vor den Pixeln (ja, ich weiss, das ist sehr vereinfacht…). Damit der Mensch überhaupt ein Bild auf dem Monitor erkennen kann, muss eine Software (entweder kameraintern oder am Computer) tüchtig rechnen, um diesen Datenberg an Helligkeits- und Farbinformationen in ein vorzeigbares Bild zu „übersetzen“.

Und genau hier fängt bereits die erste Bearbeitungsstufe an. Denn jeder Kamerahersteller hat seine eigenen Logarithmen, wie diese Daten interpretiert werden sollen. Gerade was die Farbdarstellung anbelangt, hat jeder seine eigenen Präferenzen. Das erinnert durchaus an die analogen Zeiten, wo auch jeder Film seine eigene (Farb-) Charakteristik hatte.

RAW versus JPG (Jpeg)

RAW: Kein einheitliches Format, jeder Kamerahersteller kocht sein eigenes Süppchen. Dabei bereitet die Kamera die Daten nur soweit auf, dass überhaupt ein sichtbares Bild entsteht, also im Prinzip ein unverbindlicher  Vorschlag der Kamera, wie das Bild aussehen könnte. Dabei werden keine Daten gelöscht, d.h. alle Aenderungen sind reversibel. RAW-Formate können nicht von allen Bildbetrachtungsprogrammen gelesen werden.

JPEG: Weltweiter Standard für digitale Bilder. Wird von praktisch allen Programmen verstanden, ist jedoch aus Speicherplatzgründen im Vergleich zu RAW komprimiert, d.h. bei einer Umwandlung von RAW in JPG gehen Informationen/Feinheiten verloren. Aenderungen sind nicht reversibel.

Billige Consumer-Kameras (und Handys) können nur Bilder im jpeg-Format machen, teurere Kameras auch im RAW-Format, hört man immer wieder. Stimmt aber eigentlich gar nicht. Jede Digitalkamera macht nämlich Bilder im RAW-Format. Bei teureren Kameras kann der Fotograf auf dieses „Rohbild“ zugreifen und selber weiterbearbeiten. Bei günstigeren Modellen „behält“ die Kamera das Rohbild für sich und präsentiert dem Fotografen nur ein bereits kameraintern weiterverarbeitetes jpeg-Bild. Also kein „unverbindlicher Vorschlag“ wie bei RAW, sondern ein fixfertig bearbeitetes Bild  mit Aenderungen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können.

OOC – Out Of Cam, Bilder ohne Bearbeitung

Häufig werden sogenannte OOC-Bilder im Internet gezeigt (oder gefordert…) um irgendeine Realität zu beweisen. OOC bedeutet „out of cam“ , d.h. RAW-Bilder direkt von der Kamera ohne weitere Bearbeitung. Das mag bei dem eingangs erwähnten Beispiel mit dem Reiseprospekt funktionieren. Es ist jedoch völlig untauglich zur Beurteilung der Farben, der Schärfe, des Kontrastes, der Lichtstimmung etc. Dies gilt für RAW- und erst recht natürlich für JPG-Dateien. Begründung siehe in den beiden vorher-gehenden Abschnitten „Wie funktioniert eine Digitalkamera“ und „RAW versus JPG“.

Individuelle Wahrnehmung

Wahrscheinlich habt Ihr schon längst bemerkt, worauf ich hinaus will: In der digitalen Fotografie (und eigentlich auch schon in der analogen) gibt es keine absolute und objektive Wahrheit. Jede Kamera, jeder Sensor, jede Software (bzw. jeder Software-Ingenieur) interpretiert den vorliegenden Datenberg anders. Und eigentlich ist es doch auch mit der menschlichen Wahrnehmung dasselbe. Machen wir ein Gedankenexperiment: Wenn fünf Personen am selben Ort zur selben Zeit eine Zeichnung oder ein Gemälde der vorhandenen Szenerie anfertigen würden, kämen wohl fünf verschiedene Ergebnisse heraus. Der eine ist beeindruckt von den mächtigen Wolken, die andere vom grünen Gras und die dritte Person findet die weidenden Schafe ja soo niedlich… Und entsprechend den jeweiligen Vorlieben fallen dann auch die Zeichnungen aus. Also: Selbst wenn zwei dasselbe sehen, kommt nicht bei beiden dasselbe Ergebnis im Hirn an. Wenn man so will, funktioniert unser Hirn wie eine Billigkamera: Es verarbeitet die visuellen Eindrücke der Augen (RAW) zu individuellen Erlebnissen (JPG)… 🙂

Bearbeitung während der Aufnahme

Bis jetzt haben wir immer über die nachträgliche Bearbeitung eines bereits geschossenen Bildes gesprochen. Aber bereits während der Aufnahme beeinflussen die gewählten Einstellungen an der Kamera das spätere Endergebnis. Die Klassiker natürlich: Offene Blende = unscharfer Hintergrund sowie längere Verschlusszeit = verwischte Bewegungen. Oder der Polfilter, der den Himmel so schön knutschblau macht oder das Gras so herrlich grün. Und wie steht es denn mit den Langzeitbelichtungen, bei denen das Wasser weichgezeichnet wird? Sind dies auch Bearbeitungen oder gar Manipulationen?

FAZIT

Und nun? Habe ich jetzt meine kurze und knappe Standardantwort gefunden? Jein 🙂

Für eine einzige Antwort ist das Thema zu komplex, aber es haben sich für mich drei Merksätze herausgebildet, von denen die ersten zwei durchaus als Antwort auf die eingangs gestellte Frage taugen können.

1 Jedes digitale Bild ist bearbeitet! Entweder durch die Kamera oder durch den Fotografen.
Ersteres passiert vollautomatisch und gemäss den Vorlieben der jeweiligen Softwareentwickler, letzteres selbstbestimmend und gezielt.

2 Ich bearbeite meine Bilder so, dass sie der Stimmung entsprechen, die ICH vor Ort empfunden habe.
Das ist wohl schon jedem mal passiert:  Beim Anschauen der Fotos zuhause denkt man sich „Hhmm…, irgendwie war das damals vor Ort wesentlich spektakulärer…?!“. Grund: Die Kamera hat die vorliegende Situation anders interpretiert als unser Hirn. Welches ist nun die richtige Version? Keine! Beides sind Interpretationen. Aber da ich die Bilder nicht für die Kamera, sondern für mich mache, ist auch klar, in welche Richtung ich die Bilder bearbeite… 🙂

3 Es die Menge, die darüber entscheidet, ob etwas gut oder schlecht ist.
Eine Prise Salz auf dem Steak ist fein, ein ganze Tüte davon ist bähhh. Wobei die Grenze fliessend ist und für jeden woanders verläuft. Für mich persönlich heisst das: Wegstempeln von Abfall, Sensorflecken, unvorhergesehen ins Bild laufenden Passanten etc. ist ok, grössere Manipulationen wie Bäume verpflanzen, Häuser wegretuschieren, einen Sommer- in einen Herbstwald verwandeln etc. sind tabu.

Was meint Ihr zu diesem Thema?

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